Kundenbindung geht anders

von | Aug 1, 2023 | Allgemein

Jetzt ist es gut ein Jahr her, dass ich 159,- Euro für 2 Stunden Parken bezahlt habe, vor wenigen Wochen hatte meine Tochter das gleiche Erlebnis, Parkzeitüberschreitung: 65 Euro. Ja, ich gestehe: ich habe nicht nur eingekauft, sondern auch einen Termin in der Nähe wahrgenommen. Selbst schuld? Natürlich. Aber …

Immer öfter passiert es, dass Parkplätze von Geschäften rigoros überwacht und von den engagierten Firmen hohe Aufwandsentschädigungen in Rechnung gestellt werden.

Der Kundenservice des Unternehmens argumentiert folgendermaßen: „Uns ist es sehr wichtig, die Bedürfnisse unserer Kunden zu kennen. Nur so können wir das beste Service für unsere Kunden bieten. Dazu gehört es auch, unseren Kunden ausreichend Parkplätze zur Verfügung zu stellen. Deshalb haben wir die Parkzeit mit einer Stunde begrenzt. Darauf haben wir auch mit einer entsprechenden Beschilderung am Parkplatz hingewiesen. Die Firma Park & Control unterstützt uns dabei und übernimmt die Parkraumüberwachung. Zusätzlich zu einer Stunde Parkzeit wird eine Kulanz von 30 Minuten berücksichtigt. Alle eingehobenen Aufwandsentschädigungen laufen daher auch nicht über uns, sondern über dieses Unternehmen.“

Sachlich ist die Argumentation ja gut nachvollziehbar: Kunden brauchen Parkplätze. Aber auch ich bin Kunde.

Werfen wir einen Blick auf das 2. Axiom von Paul Watzlawick, wird sofort klar, dass meine Bedürfnisse als Kunde dabei unberücksichtigt geblieben sind: „Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt, wobei letzterer den ersten bestimmt“. Die Beziehung zwischen Kunde und Geschäft ist letztendlich eine Kooperationsbeziehung und die Basis jeder Kooperation ist Vertrauen. Und Ärger ist keine gute Grundlage für Vertrauen. Dazu kommt noch, ist das Vertrauen einmal gebrochen, ist es sehr aufwendig, es wieder herzustellen.

Ich gehe hier aber noch einen Schritt weiter: Wenn wir annehmen, dass diese erlebbare Customer Experience als äußeres Zeichen der im innen gelebten Unternehmenskultur zu sehen ist, dann stellt sich die Frage, was die Mitarbeiter:innen dieser Unternehmen erleben?

Dieser Frage liegt nahe, wenn wir das Seerosenmodell von Edgar Schein betrachten:

An der Oberfläche liegen die sichtbaren Verhaltensweisen und andere physische Manifestationen, Artefakte und Erzeugnisse. Beispiele sind Kommunikationsverhalten mit Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten, Logo, Parkplätze, Bürolayout, verwendete Technologie, das Unternehmensleitbild aber auch die Rituale und Mythen der Organisation.

Unter dieser Ebene liegt das Gefühl, wie die Dinge sein sollen; kollektive Werte sind beispielsweise „Ehrlichkeit“, „Freundlichkeit“, „Technik-Verliebtheit“, „spielerisch“, „konservativ“ usw. also Einstellungen, die das Verhalten von Mitarbeiter:innen bestimmen.

Auf der tiefsten Ebene sind die Dinge, die als selbstverständlich angenommen werden für die Art und Weise, wie man auf die Umwelt reagiert. Diese Grundannahmen werden nicht hinterfragt oder diskutiert. Sie sind so tief im Denken verwurzelt, dass sie von Mitgliedern der Organisation nicht bewusst wahrgenommen werden.

Unternehmenskultur wird nicht bewusst wahrgenommen, aber gelebt und über Resonanzphänome in alle Ecken des Unternehmens getragen und zu den Kunden. Somit erlebt der Kunde, die Kultur, die die Mitarbeiter:innen als Employee Experience erleben, als Customer Experience.

„Überall da, wo Menschen Dienstleistungen für andere erbringen, wird die Zufriedenheit, die man bei Kunden, Klienten oder Patienten zu erzeugen vermag, als Resonanz zurückkehren. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu ermutigen und sie so fort- und weiterzubilden, dass sie ihre Tätigkeit beziehungsorientiert gestalten, ist eine Aufgabe, die von vielen Arbeitgebern und Vorgesetzten erfolgreich eingesetzt, noch viel häufiger aber vernachlässigt wird“ (Joachim Bauer).

Wenn also das Vertrauen nicht nur bei den Kunden gebrochen, sondern auch meine These stimmt, dass sich die Employee Experience in der Customer Experience spiegelt, dann kann das in Zeiten des Fachkräftemangels fatale Folgen haben.

Es ist aber auch das Gegenteil möglich: Cultural Fit: Das Gefühl beim Richtigen zu sein. Unser diesjähriges WorkVision BarCamp® widmet sich diesem Thema.

Literatur:

  • Stefanie Widmann und Martin Seibt (2016): Zukunftsmodell Kooperation. Publicis.
  • Edgar H. Schein, Peter Schein, et al. (2017): Organizational Culture and Leadership, Fifth Edition. Audible Hörbuch.
  • Joachim Bauer (2022): Wie wir werden, wer wir sind. Heyne Verlag.
  • Martin Seibt und Chris Holzer (2021): Glückliche Menschen haben Erfolg. bookboon.

Der Autor

Mag. Martin Seibt MSc ist Biologe, Unternehmensberater, Trainer und Coach. Er beschäftigt sich mit Kooperation, kooperativem Führen und ist Autor von Büchern und Artikeln zum Thema Kooperation und Mitarbeiterzufriedenheit. Er ist Mitglied der Akademie für Neubiologisches Bildungsmanagement und der Expert Group „Kooperation und Netzwerke“