Führung auf Distanz

von | Feb 4, 2023 | Allgemein

Eine Erfahrung aus der Covid Krise

Komplexe Situationen wie die COVID-Krise machen Angst. Die Aufgabe guter Führung ist es, dieser Angst entgegenzuwirken – auch über die Distanz. So kann das gelingen:

Je mehr auf Distanz gearbeitet wird, umso wichtiger ist die Nähe durch die Führungskraft.

Komplexität macht Angst, das ist neurobiologisch gut nachvollziehbar. Je mehr Cortisol in unserem Blutkreislauf zirkuliert, umso mehr Oxytocin ist notwendig, um dieses wieder abzubauen. Oxytocin wird als „Bindungshormon” gebildet, wenn wir in intensiven, emotional erfüllenden sozialen Kontakten sind. Führung muss darauf Rücksicht nehmen, will sie nicht die Mitarbeiter:innen mit Burnout-Symptomen verlieren.

Wenn uns die Covid-19-Pandemie eines aufgezeigt hat, dann ist es unser Umgang mit Krisen und Komplexität. Unser Verhalten während dieser Krise macht deutlich, wie wir persönlich und im Unternehmen mit Krisen umgehen.

Was ist eine Krise?

Eine Krise ist eine schwierige Lage, Situation, Zeit (die den Höhe- und Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung darstellt); Schwierigkeit, kritische Situation; Zeit der Gefährdung, des Gefährdetseins, so der Duden.

Krisen sind darüber hinaus dadurch gekennzeichnet, dass Sie eine Situation darstellen, die wir nicht managen können, in der viele Aspekte neu sind, manche noch weniger gut bekannt, Auswirkungen und Zusammenhänge unklar bleiben. Das gleiche gilt für Komplexität. Wir können somit eine Krise durchaus mit einer komplexen Situation vergleichen.

Auf eine einfache Formel gebracht: Krise = Komplexität + Angst

„Corona” war beides: Krise und Musterbeispiel für eine komplexe Situation. Betrachtet man das einzelne Individuum, kommt in heftigen Krisen dann auch noch eine Portion Angst (Angst vor der Krankheit, Existenzangst, Angst den Arbeitsplatz zu verlieren, …) dazu, was den Umgang nicht einfacher macht.

Dietrich Dörner beschreibt in seinem Buch „Die Logik des Misslingens“ Komplexität in wunderbar einfachen Worten:

„… dass ein Akteur in einer komplexen Handlungssituation einem Schachspieler gleicht, der mit einem Schachspiel spielen muss, welches sehr viele … Figuren aufweist, die mit Gummifäden aneinander hängen, sodass es ihm unmöglich ist, nur eine Figur zu bewegen. Außerdem bewegen sich seine und des Gegners Figuren auch von allein, nach Regeln, die er nicht genau kennt oder über die er falsche Annahmen hat. Und obendrein befindet sich ein Teil der eigenen und der fremden Figuren im Nebel und ist nicht oder nur ungenau zu erkennen.“

Komplexität macht Angst

Zu der digital erzeugten Distanz kommt nun oben beschriebene Komplexität von Organisationen und Unternehmen hinzu, die wir nur sehr schwer handhaben können. Der Hirnforscher John-Dylan Haynes spricht von zwei Herausforderungen, um mit Komplexität umzugehen:

Erstens der „Stationaritätsannahme”: Wir Menschen nehmen an, dass es morgen genauso wird, wie es heute ist. Wie wir in der zurückliegenden Krise gesehen haben, ist das falsch.

Und zweitens: Um mit Komplexität umzugehen, müssen wir extrem vereinfachen. Komplexität lebt aber von exponentiellen Entwicklungen, Ambiguität, Latenzen und Trägheit sowie unerwarteten Effekten. Eine Vereinfachung ist nahezu unmöglich.

Wir können also Krise, Komplexität und Dynamik sehr schwer handhaben. Dies verursacht bei uns Unsicherheit und mit Unsicherheit kann wiederum unser Gehirn schwer umgehen.

Die Dynamik der Angst

Jegliche Form von Unsicherheit löst bei uns im Gehirn eine Vorsichts-, Angst- oder Panikreaktion aus. Diese wiederum löst die neurobiologische Stressreaktion aus, die die Aufmerksamkeit auf die Gefahr und die notwendige Energie für Angriff, Erstarrung oder Flucht bereitstellen soll.

Als erster Neurotransmitter tritt Adrenalin in Aktion. Einmal ins Blut ausgeschüttet vermittelt Adrenalin eine Herzfrequenzsteigerung, einen durch Blutgefäßverengung bewirkten Blutdruckanstieg und eine Bronchiolenerweiterung. Das Hormon bewirkt zudem eine schnelle Energiebereitstellung durch Fettabbau sowie die Freisetzung und Biosynthese von Glucose.

Für die länger andauernde Stressreaktion ist dann Cortisol zuständig. Es aktiviert katabole (= abbauende) Stoffwechselvorgänge und stellt so dem Körper energiereiche Verbindungen zur Verfügung. Seine dämpfende Wirkung auf das Immunsystem ist langfristig gesundheitsschädlich.

Stress und seine Gegenspieler

Stress war und ist immer überlebensnotwendig, aber gleichzeitig schädlich. Aus diesem Grund gibt es im Körper des Menschen zwei Gegenreaktionen. Dem Stressverarbeitungssystem stehen das interne Beruhigungssystem und das Bindungssystem gegenüber.

Das interne Beruhigungssystem ist überwiegend der Neuromodulator Serotonin. Er hat mitunter eine beruhigende Wirkung und ist so als Gegenspieler von Cortisol von Bedeutung.

Der zweite Gegenspieler von Cortisol ist das Neuropeptid Oxytocin, das Bindungshormon. Hierdurch werden Soziale Emotionen und Verhaltensweisen aller Art begünstigt, einschließlich Vertrauen und Empathie gegenüber angenehmen Sozialkontakten. Die Ausschüttung von Oxytocin fördert meist auch eine Ausschüttung von Serotonin. Es hat jedoch auch selbst stressmindernde Funktion.

Die Bedeutung der Verbundenheit

Selbstberuhigung und Bindung reduzieren also Stress. Hier wird Führung wichtig: Je mehr auf Distanz gearbeitet wird, umso wichtiger ist die Nähe durch die Führungskraft. Gerald Hüther spricht in diesem Zusammenhang von zwei Grundmotivationen des Menschen „Verbundenheit” und „Entfaltung und Gestaltung”. Verbundenheit ist die Primärerfahrung eines jeden Menschen, weil er ganz am Anfang seiner Existenz, ohne verbunden zu sein, nicht hätte überleben können. Dieses Grundbedürfnis wird er nie wieder los. Dies muss die Führungskraft wissen und berücksichtigen, aber wie?

In Unternehmen und Institutionen haben wir nicht immer Krisen, aber sehr oft komplexe Situationen. Verstärkend kommt hinzu, dass in den letzten Jahren die Zusammenarbeit mehr und mehr über Distanz verläuft. Homeoffice und dezentrale Teams in international agierenden Unternehmen gibt es schon lange, durch die notwendige Distanz in der Covid-19-Pandemie wurde jedoch eine Entwicklung beschleunigt, die durch den Metatrend Digitalisierung schon vorgezeichnet war: Kommunikation über digitale Medien.

Führung ist immer real

Führung wird somit in der Zukunft noch mehr auf Distanz vonstattengehen, als es bisher schon üblich war. Üblicherweise spricht man dann von virtueller Führung, wenngleich dies den Tatsachen keineswegs gerecht wird. Führung ist nicht virtuell, Führung ist immer real, ob sie stattfindet oder auch nicht, wie auch immer sie im Detail gelebt wird, die Wirkung auf die Mitarbeiter:innen ist real. Auch wenn das Medium, über das die Führungskommunikation läuft, digital ist, ist nichts in unserer Zusammenarbeit virtuell. Die Fehler, die passieren, sind es nicht. Die Fehler passieren real. Und auch die Erfolge sind es nicht. Die Konflikte auf Distanz sind genauso real, als ob sie im Büro passieren würden und die daraus folgenden Umsatzeinbrüche sind real. Die Verantwortung liegt bei den Führungskräften.

Virtuelle Führung als spezielle Form der Führung ist also ein Mythos. Fehlt die persönliche Ebene, weil die Kommunikation auf Distanz verläuft, kann dies bestehende Mankos sogar noch verstärken. Eine Mail, die auf einen Fehler hinweist, die Kolleg:innen in cc, hat Auswirkungen auf die kritisierte Person. Der Gesichtsverlust, die mangelnde Wertschätzung und die Demotivation, die diese Mail auslöst, sind somit sehr real. Natürlich hätte im Rahmen einer Präsenzveranstaltung ein Tadel im Kreis der Kolleg:innen die gleiche Auswirkung. Er macht die Menschen unglücklich. Aber da hätte vielleicht eine abmildernde Geste oder auch ein(e) deeskalierende(r) Kollege:in helfen können.

Dies zeigt auch eine Studie von Capgemini, die deutlich macht, dass für die neue hybride Arbeitswelt auch neue Ansätze der empathischen Mitarbeiterführung erforderlich sind. So sehen Mitarbeiter:innen eine Diskrepanz zwischen den wichtigsten Fähigkeiten, die sie von Führungskräften erwarten, und deren derzeitigem Leistungsniveau. Aus Sicht der Mitarbeiter:innen halten 75 Prozent emotionale Intelligenz für eine wesentliche Eigenschaft, aber nur 47 Prozent glauben, dass die Führungskraft in diesem Bereich wirklich kompetent sind. Ähnlich verhält es sich mit effektiver und kontinuierlicher Kommunikation (78 zu 53 Prozent) und Vertrauenskultur (84 zu 50 Prozent).

Ein erster Gedanke wäre vielleicht: „… am Anfang eines Online-meetings ein paar freundliche Worte zu sprechen, zu fragen, wie es geht, um dann schnell zur Sache zu kommen. Es geht ja schließlich um Umsatz und Gewinn. Als Chef bin ich ja nicht für’s Wohlbefinden meiner Mitarbeiter:innen zuständig, da sollen sie sich selbst darum kümmern.” Weit gefehlt. Zuständig nicht, aber es zahlt sich aus, denn glückliche Menschen haben Erfolg. Und glücklich machen uns Beziehungen, das haben Forschende der Harvard Uni in einer Langzeitstudie nachgewiesen. „Obwohl Menschen sehr unterschiedlich ticken und jeder von uns höchst individuelle Vorstellungen von einem glücklichen Leben hat, ist es überraschenderweise doch so, dass sich ein einziger Faktor bei der Harvard-Studie und anderen internationalen Langzeitstudien als eindeutig am wichtigsten herausstellt: gute Beziehungen. Damit sind nicht unbedingt nur Paarbeziehungen gemeint, sondern auch Freundschaften, Familie, Kolleginnen und Kollegen, Nachbarschaftsbeziehungen oder Zufallsbegegnungen.“ Somit auch Führungskräfte.

Bemerkenswert an der Harvard-Studie ist auch, dass deutlich wird, wie stark psychische und körperliche Faktoren verbunden sind: Isolierte Menschen, die kein ausreichendes soziales Umfeld haben, weisen signifikant höhere Stresshormone auf und schließlich auch schlechtere Blutwerte.

Angst nehmen, Zuversicht zeigen

Was können wir also tun? Die Idee ist denkbar einfach: Mensch sein. Mehr Ehrlichkeit, positive Fehlerkultur, die Angst nehmen und Zuversicht zeigen.

Mehr Ehrlichkeit: Ehrlichkeit signalisiert Nähe, Floskeln sind distanziert. In komplexen Situationen kann ich auch als Chef nicht alles überblicken. Jede Entscheidung ist besser, als keine Entscheidung. Stehen sie zu Ihren Entscheidungen, auch wenn Sie manchmal falsch sind.

Positive Fehlerkultur: Ein Fehler ist erst ein Fehler, wenn man ihn zum zweiten Mal macht. Davor ist er ein Lerngutschein. Leben Sie diese Fehlerkultur als Vorbild vor.

Angst nehmen: Menschen wählen nicht das, was sie am liebsten haben, sondern Menschen wählen das, was sie am wenigsten fürchten. Nehmen Sie ihren Mitarbeiter:innen die Ängste.

Zuversicht zeigen: Menschen vergessen das Gesagte, aber sie erinnern sich an das Gefühl. Signalisieren Sie ein gutes Gefühl, ein Vertrauen in Ihre eigenen Entscheidungen und in die Zukunft.

Bei diesen vier Aspekten ist es völlig egal, ob sie digital oder face to face stattfinden.

Diese vier Aspekte machen den Menschen in uns aus, denn wenn wir als Chef auch noch Mensch sind, ist die Nähe inkludiert. Wenn wir durch unsere Führung Unsicherheit absorbieren, haben die Mitarbeiter:innen den Kopf frei für ihre eigentliche Aufgabe. Bringen wir es noch mal auf eine einfache Formel:

Komplexität – Unsicherheit = Chance

Dieser Artikel beruht auf einen Beitrag bei Port41 So geht selbständig

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Quellen:

Crummenerl, Claudia (2021): Re-learning leadership. Capgemini. Studie.

Dörner, Dietrich (2006): Die Logik des Misslingens. Strategisches Denken in komplexen Situationen. rororo Science.

Roth, Gerhard und Nicole Strüber (2014): Wie das Gehirn die Seele macht. Klett-Cotta

Traxler, Tanja (2023): Jahrzehntelange Studie enthüllt, was uns glücklich macht. In: Der Standard, 29.1.2923.

Der Autor

Mag. Martin Seibt MSc ist Biologe, Unternehmensberater, Trainer und Coach. Er beschäftigt sich mit Kooperation, kooperativem Führen und ist Autor von Büchern und Artikeln zum Thema Kooperation und Mitarbeiterzufriedenheit. Er ist Mitglied der Akademie für Neubiologisches Bildungsmanagement und der Expert Group „Kooperation und Netzwerke“